Freitag, 23. Mai 2014

"Du gehst jetzt sofort wieder raus und entschuldigst dich!"

In meinen 32 Jahren auf dieser Erde habe ich, soweit ich mich erinnern kann, keine fünf Backpfeifen verteilt. --- Meinen Bruder einmal ausgenommen. Ich befürchte, er hatte unter der zwei Jahre jüngeren Schwester doch mehr zu leiden, als mein Gehirn mir vorgaukeln will... :/

Aber die schallendste Ohrfeige von mir erhielt ein Nachbarsjunge in Miesbach am Tegernsee im Sommerurlaub. Ich habe seinen Namen vergessen. Vielleicht war es Peter. Peter war befreundet mit der Tochter des Hauses, in dem unsere Ferienwohnung lag. Mein Bruder war froh, dass auch ein Junge in seinem Alter zum Spielen da war und so verbrachten wir die meiste Zeit mit diesen Kindern.
Leider konnte ich Peter nicht ausstehen. Peter war ein Klugscheißer und ein Macho. In seinen Augen konnten Mädchen sowieso nichts und kleine Mädchen, wie ich eines war, schon mal erst Recht nicht. Und irgendwann, als mir seine Sprücheklopperei die Hutschnur platzen ließ, stellte ich mich vor ihn hin und knallte ihm mit lautem Klatschen meine flache Hand ins Gesicht. Tiefe Befriedigung durchströmte mich, direkt gefolgt von einer Welle des Erschreckens. Ich rannte in unsere Ferienwohnung, in der meine Mutter mich in Empfang nahm. Zitternd und weinend erzählte ich ihr, was geschehen war. Ich hatte wohl gehofft, dass sie mich in den Arm nehmen und trösten und mir sagen würde, dass ich nichts Falsches getan hätte. Doch sie wurde stinksauer und schmiss mich hochkant aus der Wohnung mit den Worten: "Du gehst jetzt sofort wieder raus und entschuldigst dich!" Und das ließ mich nur noch mehr verzweifeln. Ich hatte doch wirklich nichts Falsches getan! Oder ...? Ich hatte mich auf die (wie mir damals schien) einzige Weise gegen Peters Ärgern zur Wehr gesetzt, die mir bei diesem großen, nervigen Jungen übrig blieb. Nie zuvor, war mir meine eigene (seelische) Unversehrheit so wichtig gewesen, dass ich dafür jemand anderen verletzt hätte. 

Ob es sich richtig anfühlte, runter zu gehen und mich zu entschuldigen, spielte keine Rolle. (Ich weiß, es heißt eigentlich "und um Entschuldigung zu bitten". Aber offenbar wird uns sehr früh und sehr erfolgreich die Vorstellung eingepflanzt, "Bitte!" sei tatsächlich ein "Zauberwort", und die Erfüllung der Wünsche ein nur logischer Automatismus genauso wie "Entschuldigung!" eine Verzeihung so zwingend nach sich ziehen muss, dass ich sprachlich diesen unnötigen Zwischenschritt auch überspringen darf.) Ich hatte also keine Wahl --- ich konnte mich ja schlecht gegen das mütterliche Gebot, Frieden am Urlaubsort zu wahren, stellen. Dann hätten wir beide uns ja auch noch gezankt! 

Die anderen spielten direkt bei uns vorm Haus. Also konnte ich nicht einmal weglaufen. Vor oder zurück? Pest oder Cholera? Und wo blieb ich dabei? Mein Gefühl, für meine Unversehrtheit eingestanden zu sein und der kleine Stolz darauf, verebbte so schnell, wie es aufgetaucht war. Und so entschied ich mich, hinunter zu gehen und zu sagen, dass ich einen Fehler gemacht hätte.

Letztens wurde mir gesagt, dass ich den Eindruck vermittele, mich vor den Folgen meiner Entscheidungen und Handlungen zu fürchten. Und es ist wahr. Bis heute erschrecke ich darüber, wenn ich laut oder deutlich werde, selbst wenn ich weiß, dass ich aus meiner Perspektive absolut richtig gehandelt habe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen