Donnerstag, 16. Juli 2015

Man kann nicht davon leben, aber... - Artikel schreiben für die Evangelische Zeitung

Seit Herbst 2014 schreibe ich in unregelmäßigen Abständen für die Evangelische Zeitung. Die Entlohnung ist dürftig, aber es macht mich stolz, meine Texte gelayoutet und gedruckt zu sehen. :) Dies war mein zweiter Text, den ich im Februar über zwei äußerst beeindruckende Frauen verfassen durfte.

BOYKOTT IST KEINE LÖSUNG

Es sind Frauen, Frauen und immer wieder die Frauen. Menschen, die sich mit der Frage nach fairen Produktionsbedingungen in der Textilindustrie beschäftigen, sind häufig Frauen und die Schicksale von Frauen treiben sie an, das zu tun, was sie tun. Ihr Ehrenamt ist zeit- und arbeitsintensiv und nicht immer stellen sich sichtbare Erfolge ein. Aber ihre Herzen schlagen im Takt eines Feminismus, der noch weiß, woher er kam und warum er heute als global gelebte Nächstenliebe mehr geboten ist denn je.


Warum sie sich für Kleidung einsetze, fragt Irmgard Busemann sich rethorisch selbst. Sie könne sich ja auch für eine faire Handyproduktion engagieren. Aber das sei ihr zu technisch. Kleidung ist etwas, das ihr richtig nahe ist. Die Pädagogin hat Recht, wenn sie sagt: „Niemand kann sagen: Ich brauche keine Kleidung!“ Gerade weil der Weg zurück in die Selbstversorgung für die meisten Mitteleuropäer eben keinen möglichen alternativen Lebensentwurf darstellt, entspricht der Ansatz der Kampagne für Saubere Kleidung viel mehr der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen hierzulande. Den Hamburgerinnen Irmgard Busemann und Mitstreiterin Eva Juergensen geht es ganz im Sinne der ursprünglich niederländischen CCC (Clean Clothes Campaign) nicht um einen Konsumstreik, weil sie wissen, dass ein Boykott den Arbeiterinnen, die Tausende von Kilometern von hier entfernt unsere Kleidung nähen, nicht helfen, sondern schaden würde.

Ein Mädchen in Südindien. Für fünf Jahre in die Schuldknechtschaft verkauft, um ihren Brautpreis in einer Textilfabrik selbst zu erarbeiten. Das Geld spart die Firma für sie an und zahlt sie am Ende der Zeit aus. Vermutlich wird sie es nicht so lange dort aushalten und verspielt damit ihr Anrecht auf ihren Lohn. Am Ende steht sie vor dem Nichts, denn auch ihre Familie ist enttäuscht. Natürlich hat sie einen Namen, aber wir kennen ihn nicht. Auch Frau Busemann und Frau Juergensen kennen nur vereinzelt Mädchen und Frauen persönlich, die die Kapagne zu Vorträgen nach Deutschland einlädt oder über die ihre Mitstreiterinnen, die vor Ort recherchieren, zurückgekehrt berichten. Das Entscheidende aber ist: Für die beiden hat auch ein für uns namenloses Mädchen am anderen Ende der Welt Würde und Stolz. Dass auch dieses Mädchen davon erfährt, dass sie Schikane und Schläge der Vorarbeiter nicht erdulden muss und wie sie sich dagegen zum Beispiel im Rahmen einer Gewerkschaft zur Wehr setzen kann, um die Bedingungen vor Ort für sich und ihre Kolleginnen zu verbessern, dafür setzen sich die beiden gemeinsam mit ihrer Hamburger Regionalgruppe der Kampagne für Saubere Kleidung seit 16 Jahren ein.

Vor dreißig Jahren war die heute pensionierte Pastorin Eva Juergensen Teil der Früchteboykottkampagne gegen das Apartheidsregime Südafrikas. Diesen Boykott initiierten schwarze Frauen in Südafrika und in vielen Kirchen griffen die Frauenwerke diese Initiative auf. Als sich der politische Wind mit der Wahl Mandelas 1994 drehte, war es auch der Evangelischen Kirche in Deutschland ein großes Anliegen, das Engagement dieser politisch bewegten Frauen nicht im Sande verlaufen zu lassen und ihnen ein neues Betätigungsfeld nahe zu bringen. Dies gelang in der Initiative für saubere Kleidung. „Wir wollten weiter für unterdrückte Frauen auf die Straße gehen“, erzählt die frühere Krankenhausseelsorgerin und fügt verschmitzt als Erklärung für ihre Motivation noch hinzu: „Ich gehe gern auf die Straße und auch ein bisschen frech in die Geschäfte und lege unsere Zettel in die ausgelegte Ware: ´100% ungerecht` oder ´Made in hell`.“ Auch Irmgard Busemann zeigt sich in ihrem Alltag streitbar und gibt auch anderen den Tipp: „Machen Sie sich vor Ihrem nächsten Einkauf schlau. Wir haben Heftchen, die Auskunft über die Arbeitsbedingungen geben, unter denen die einzelnen Marken produzieren. Und dann: Nerven Sie! Fragen Sie im Geschäft nach. Und wenn der Verkäufer unfreundlich wird, lassen Sie den Geschäftsführer holen.“

Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen sind nicht nur Eigenschaften, die beide Frauen im Alltag beweisen. Zwar positionierte sich auch Entwicklungsminister Gerd Müller im vergangenen Juli deutlich für ein Textillabel, das faire Arbeitsbedingungen anzeigt, doch wissen die beiden Hamburgerinnen aus der leidvollen Erfahrung der Kampagne, dass man zur Einführung eines solchen Gütesiegels mehr Ausdauer braucht, als ein Politiker sie in einer Legislaturperiode und darüber hinaus in der Regel aufbringen könne.

Trotz vieler ernüchternder Rückschläge wirken die beiden alles andere als verbittert. Sie wissen, dass ein Riese wie Tchibo nach Jahren der intensiven Kritik begonnen hat, sich auf den Weg zu machen. Die Menschen, die sie auf der Straße an ihrem Stand ansprechen, reagieren heute weniger verwirrt oder brüskiert angesichts der Unterstellug, ihre Kleidung sei schmutzig, als sie sich der Problematik der katastrophalen Arbeitsbedingungen bewusst sind. Früher waren die Menschen eher ansprechbar über den ökologischen Aspekt der Produktion. Doch Gerechtigkeit scheint als Kaufkriterium langsam nachzuziehen. Das macht auch den beiden CCC-Aktivistinnen Mut, weiterzumachen.

Junge Frauen sind sich nur noch teilweise dessen bewusst, was die Frauenaktivistinnen des 20. Jahrhunderts für sie geleistet haben. Gerade weil sie diese Formen der Unterdrückung nicht selbst erlebt haben, kann das Engagement starker Frauen wie Irmgard Busemann und Eva Juergensen für unterdrückte Menschen, ihnen die Notwendigkeit aufzeigen, die Fragen und Anfragen der Emanzipation auch heute noch und immer wieder zu stellen.

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