Seit Herbst 2014 schreibe ich in unregelmäßigen Abständen für die Evangelische Zeitung. Die Entlohnung ist dürftig, aber es macht mich stolz, meine Texte gelayoutet und gedruckt zu sehen. :) Dies war mein zweiter Text, den ich im Februar über zwei äußerst beeindruckende Frauen verfassen durfte.
BOYKOTT IST KEINE
LÖSUNG
Es sind Frauen, Frauen
und immer wieder die Frauen. Menschen, die sich mit der Frage nach
fairen Produktionsbedingungen in der Textilindustrie beschäftigen,
sind häufig Frauen und die Schicksale von Frauen treiben sie an, das
zu tun, was sie tun. Ihr Ehrenamt ist zeit- und arbeitsintensiv und
nicht immer stellen sich sichtbare Erfolge ein. Aber ihre Herzen
schlagen im Takt eines Feminismus, der noch weiß, woher er kam und
warum er heute als global gelebte Nächstenliebe mehr geboten ist
denn je.
Warum sie sich für
Kleidung einsetze, fragt Irmgard Busemann sich rethorisch selbst. Sie
könne sich ja auch für eine faire Handyproduktion engagieren. Aber
das sei ihr zu technisch. Kleidung ist etwas, das ihr richtig nahe
ist. Die Pädagogin hat Recht, wenn sie sagt: „Niemand kann sagen:
Ich brauche keine Kleidung!“ Gerade weil der Weg zurück in die
Selbstversorgung für die meisten Mitteleuropäer eben keinen
möglichen alternativen Lebensentwurf darstellt, entspricht der
Ansatz der Kampagne für Saubere Kleidung viel mehr der
Lebenswirklichkeit der meisten Menschen hierzulande. Den
Hamburgerinnen Irmgard Busemann und Mitstreiterin Eva Juergensen geht
es ganz im Sinne der ursprünglich niederländischen CCC (Clean
Clothes Campaign) nicht um einen Konsumstreik, weil sie wissen, dass
ein Boykott den Arbeiterinnen, die Tausende von Kilometern von hier
entfernt unsere Kleidung nähen, nicht helfen, sondern schaden würde.
Ein Mädchen in
Südindien. Für fünf Jahre in die Schuldknechtschaft verkauft, um
ihren Brautpreis in einer Textilfabrik selbst zu erarbeiten. Das Geld
spart die Firma für sie an und zahlt sie am Ende der Zeit aus.
Vermutlich wird sie es nicht so lange dort aushalten und verspielt
damit ihr Anrecht auf ihren Lohn. Am Ende steht sie vor dem Nichts,
denn auch ihre Familie ist enttäuscht. Natürlich hat sie einen
Namen, aber wir kennen ihn nicht. Auch Frau Busemann und Frau
Juergensen kennen nur vereinzelt Mädchen und Frauen persönlich, die
die Kapagne zu Vorträgen nach Deutschland einlädt oder über die
ihre Mitstreiterinnen, die vor Ort recherchieren, zurückgekehrt
berichten. Das Entscheidende aber ist: Für die beiden hat auch ein
für uns namenloses Mädchen am anderen Ende der Welt Würde und
Stolz. Dass auch dieses Mädchen davon erfährt, dass sie Schikane
und Schläge der Vorarbeiter nicht erdulden muss und wie sie sich
dagegen zum Beispiel im Rahmen einer Gewerkschaft zur Wehr setzen
kann, um die Bedingungen vor Ort für sich und ihre Kolleginnen zu
verbessern, dafür setzen sich die beiden gemeinsam mit ihrer
Hamburger Regionalgruppe der Kampagne für Saubere Kleidung seit 16
Jahren ein.
Vor dreißig Jahren war
die heute pensionierte Pastorin Eva Juergensen Teil der
Früchteboykottkampagne gegen das Apartheidsregime Südafrikas.
Diesen Boykott initiierten schwarze Frauen in Südafrika und in
vielen Kirchen griffen die Frauenwerke diese Initiative auf. Als sich
der politische Wind mit der Wahl Mandelas 1994 drehte, war es auch
der Evangelischen Kirche in Deutschland ein großes Anliegen, das
Engagement dieser politisch bewegten Frauen nicht im Sande verlaufen
zu lassen und ihnen ein neues Betätigungsfeld nahe zu bringen. Dies
gelang in der Initiative für saubere Kleidung. „Wir wollten weiter
für unterdrückte Frauen auf die Straße gehen“, erzählt die
frühere Krankenhausseelsorgerin und fügt verschmitzt als Erklärung
für ihre Motivation noch hinzu: „Ich gehe gern auf die Straße und
auch ein bisschen frech in die Geschäfte und lege unsere Zettel in
die ausgelegte Ware: ´100% ungerecht` oder ´Made in hell`.“ Auch
Irmgard Busemann zeigt sich in ihrem Alltag streitbar und gibt auch
anderen den Tipp: „Machen Sie sich vor Ihrem nächsten Einkauf
schlau. Wir haben Heftchen, die Auskunft über die Arbeitsbedingungen
geben, unter denen die einzelnen Marken produzieren. Und dann: Nerven
Sie! Fragen Sie im Geschäft nach. Und wenn der Verkäufer
unfreundlich wird, lassen Sie den Geschäftsführer holen.“
Hartnäckigkeit und
Durchhaltevermögen sind nicht nur Eigenschaften, die beide Frauen im
Alltag beweisen. Zwar positionierte sich auch Entwicklungsminister
Gerd Müller im vergangenen Juli deutlich für ein Textillabel, das
faire Arbeitsbedingungen anzeigt, doch wissen die beiden
Hamburgerinnen aus der leidvollen Erfahrung der Kampagne, dass man
zur Einführung eines solchen Gütesiegels mehr Ausdauer braucht, als
ein Politiker sie in einer Legislaturperiode und darüber hinaus in
der Regel aufbringen könne.
Trotz vieler
ernüchternder Rückschläge wirken die beiden alles andere als
verbittert. Sie wissen, dass ein Riese wie Tchibo nach Jahren der
intensiven Kritik begonnen hat, sich auf den Weg zu machen. Die
Menschen, die sie auf der Straße an ihrem Stand ansprechen,
reagieren heute weniger verwirrt oder brüskiert angesichts der
Unterstellug, ihre Kleidung sei schmutzig, als sie sich der
Problematik der katastrophalen Arbeitsbedingungen bewusst sind.
Früher waren die Menschen eher ansprechbar über den ökologischen
Aspekt der Produktion. Doch Gerechtigkeit scheint als Kaufkriterium
langsam nachzuziehen. Das macht auch den beiden CCC-Aktivistinnen
Mut, weiterzumachen.
Junge Frauen sind sich
nur noch teilweise dessen bewusst, was die Frauenaktivistinnen des
20. Jahrhunderts für sie geleistet haben. Gerade weil sie diese
Formen der Unterdrückung nicht selbst erlebt haben, kann das
Engagement starker Frauen wie Irmgard Busemann und Eva Juergensen für
unterdrückte Menschen, ihnen die Notwendigkeit aufzeigen, die Fragen
und Anfragen der Emanzipation auch heute noch und immer wieder zu
stellen.
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